Die ehemalige Synagoge Meisenheim
von Günther Lenhoff
Seit 1988 trägt die ehemalige Synagoge den Namen "Haus der Begegnung". Sie zählt zu den größten und künstlerisch anspruchsvollsten erhaltenen Synagogengebäuden in Rheinland-Pfalz.
Der stattliche Bau – entworfen vom Hessen-Homburger Baumeister Heinrich Krausch nach dem Vorbild der Frankfurter Hauptsynagoge - entstand in den Jahren 1864-66 an der städtischen Bleiche (heute: Saarstraße 3), denn die alte Synagoge, 1808 in der Lauergasse eingerichtet, war für die gewachsene Gemeinde zu klein geworden.
Nach zweijähriger Bauzeit wurde der repräsentative Bau am 3.8.1866 feierlich eingeweiht. Die Baukosten beliefen sich auf 15200 Gulden. Der Hessen - Homburgische Landesherr, Landgraf Ferdinand, stiftete 500 Gulden, die übrigen Mittel brachte die Gemeinde auf durch Sammlungen und eine genehmigte Verlosung.
Entstanden war ein ansehnlicher Rechteckbau aus gelblichem Sandstein. Über dem Portal in der östlichen Hauptfassade des Gotteshauses wird 4. Mose 24,5 zitiert: „Wie lieblich sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen Israel“.
Die Giebelwand flankierten zwei dreigeschossige Türme, deren Bekrönung heute nicht mehr vorhanden ist.
Im Innern trugen Sandsteinpfeiler die Frauenemporen an beiden Längsseiten und der westlichen Schmalseite, dadurch wirkte der Innenraum dreischiffig. Die Emporen wurden über das Portal an der Bleiche (Saarstraße) erreicht. Das Hauptportal für die Männer lag auf der westlichen Rückseite des Gebäudes. Der Aaron für die Thorarollen befand sich im Erdgeschoss an der östlichen Schmalseite, unterhalb des zweibahnigen Fensters.
Bis auf den Historismus der romanisierenden runden Fensterbögen sind die Proportionen und der Aufriss des Gebäudes spätklassizistisch empfunden. Die Synagoge konkurriert bewusst mit den christlichen Kirchen und bildet mit ihnen im Stadtbild eine Achse (Synagoge, Franziskanerkloster, Lutherische Kirche, Reformierte Schlosskirche). Sie verfügte über 160 Sitzplätze. Es gab 6 Pulte für Gebetbücher, 6 Thorarollen, silberne Altarleuchter, Thoraschmuck, eine Stummorgel und eine stattliche Bibliothek. Auch ein Synagogalchor ist 1882 belegt.
Insgesamt ist das stattliche Synagogengebäude im Stadtbild ein Beleg für die Toleranz und die religiöse Gleichberechtigung der Konfessionen im 19. Jahrhundert.
Meisenheim war in dieser Zeit Sitz eines Rabbinats für das gleichnamige Hessen-Homburgische Oberamt. Vor 1835 war Isaac Hirsch Unrich der erste Rabbiner. Ihm folgte Baruch Hirsch Flehinger (1845-1861); 1863 dann Rabbiner Latzar sowie 1870-79 Dr. Israel Mayer, der 1879 nach Zweibrücken berufen wurde. 1924 zählte die israelitische Kultusgemeinde Meisenheim nur noch 55 Gemeindeglieder.
Dem 20. Jahrhundert sollte mit dem barbarischen Rückfall in Ausgrenzung, Stigmatisierung und Verfolgung der Mitbürger jüdischen Glaubens der traurige Kulturbruch der deutschen Geschichte zufallen.
August Kopp bezeichnete in seinem Buch „die Dorfjuden der Nordpfalz“ die systematische Verfolgung, Enteignung, Vertreibung und Ausrottung des jüdischen Bevölkerungsteils im NS-Regime als „einen Akt unverständlicher Selbstverstümmelung“.
Im Schicksalsjahr 1933 lebten in Meisenheim noch 38 jüdische Einwohner in 13 Familien. Aufgrund zunehmender Entrechtung und Repressalien, der“Arisierung“ jüdischer Betriebe, sahen sich auch viele jüdische Familien gezwungen, ihren Heimatort zu verlassen.
In der Pogromnacht, am 9.11.38, wurde die Synagoge von SA-Leuten demoliert: Türen, Fenster, Teile der Empore wurden zertrümmert. Kultgegenstände wurden geplündert und vernichtet.
Das gelegte Feuer wurde durch Brandmeister Cörper bald wieder gelöscht, weil man ein Übergreifen auf das unmittelbar angrenzende SA-Heim befürchtete.
Bildtext: Links von der Synagoge befand sich eine Gaststätte, in der auch die SA "tagte".
Am 5. Juli 1939 kaufte die Stadt die geschändete Synagoge für 2325 Reichsmark von der Reichsvereinigung der Juden in Berlin-Charlottenburg, um die Räume öffentlichen Zwecken zuzuführen. Die Einrichtung einer städtischen Turnhalle und die Unterbringung von Geräten der Feuerlöschpolizei wurden als mögliche Zwecke ins Auge gefasst. Durch bauliche Veränderung der Außenfassade, Abtragung der beiden Seitentürme, sollte das Gebäude dem Stadtbild angepasst werden.
Da aber keine Mittel zur Verfügung standen, sollte das Gebäude einstweilen für gewerbliche Zwecke genutzt werden.
Die Abtragung des Obergeschosses der Ecktürme der Fassade im Jahr 1941 sollte die Ansicht eines Dreieckgiebels erreichen und dem Gebäude dadurch eine romanisierende Optik verleihen.
Bis 1945 wurde das Gebäude als städtischer Abstellraum genutzt.
Vom 1.5.1947 bis 5.10.1948 nutzte die französische Militärverwaltung das Gebäude.
Dann begann der heimgekehrte jüdische Unternehmer Otto David, das Gebäude als Lagerraum für Landesprodukte zu nutzen. David hatte mit seiner Frau die NS-Barbarei im französischen Exil überlebt und begann nun, den elterlichen Betrieb wieder aufzubauen.
1951 wurde das Gebäude in trostlosem Zustand per Gerichtsurteil an den Rechtsträger jüdische Kultusgemeinde zurückgegeben. Diese veräußerte im Juni 1952 das Gebäude an David, der es nun zu einem Lagerhaus für Futtermittel und Getreide und Dünger umbaute. Das Dach wurde erneuert, eine Zwischendecke aus Beton eingezogen und eine Mischfutteranlage nebst Getreiderutsche installiert.
David bezeichnet das Gebäude fortan als Lagerhaus II. 1979 veräußerte er das Gebäude für 150.000,-DM an den Bauunternehmer Alfred Stein aus Mainz- Hechtsheim, nachdem das Kreisbauamt Bad Kreuznach die vom Käufer gewünschte Abrissgenehmigung erteilt hatte. Als Stein 1981 aber eine Bauvoranfrage beim Kreisbauamt Kreuznach einreichte, intervenierte Landrat Hans Schumm und erwirkte die vorläufige Unterschutzstellung. Damit war das Gebäude für den Besitzer wertlos geworden.
Die endgültige Unterschutzstellung erfolgte am 22.11.1982. Die Gefahr des Abrisses war gebannt. Die Forderung, das ehemalige Synagogengebäude als Denk- und Mahnmal zu erhalten und einer würdigen Nutzung zuzuführen, war schon Ende der Siebziger Jahre laut geworden. Da aber die Verwirklichung dieses Projekts kommunalpolitisch nicht mehrheitsfähig war, beschloss Landrat Hans Schumm die Umsetzung mit gleichgesinnten Mitstreitern auf Vereinsbasis anzugehen.
Am 20.12.1985 gründeten neun Mitglieder den gemeinnützigen Träger- und Förderverein Synagoge Meisenheim, der nun entschlossen an die Arbeit ging.
Bereits am 28.2.1986 konnte das Gebäude von Herrn Stein für 150.000,- DM erworben werden. Und zwei Jahre später war - dank ca 1,3 Millionen Geld- und Sachspenden - die Umbaumaßnahme erfolgreich abgeschlossen.
Im Erdgeschoss, das über das rückseitig angelegte frühere Hauptportal zugänglich ist, befinden sich zwei kleinere Seminarräume, eine Teeküche und die Dauerausstellung zur jüdischen Geschichte in Meisenheim und Umgebung mit Exponaten zur jüdischen Religion und Kultur sowie eine Fachbibliothek.
Im 1. Stock befindet sich der ansprechende Hans Schumm Saal, ein Konzert- und Vortragssaal mit ca. 100 Sitzplätzen.
Das eindrucksvolle Fensterbild „Heimkehr der 12 Stämme zum Zion“ hat die Jerusalemer Künstlerin Ruth van der Garde-Tichauer mit Assistenz des Kirner Künstlers Karlheinz Brust geschaffen. (ausführliche Informationen weiter unten)
Im 18 Bitten Gebet wie in Mt 24,31/Mk 13,27 und Offenbarung 8,2-11,19-21,1-22,15 wird von der gemeinsamen Endzeithoffnung von Juden und Christen erzählt. Der Engel mit der Posaune ruft die Seinen aus allen vier Himmelsrichtungen herbei. (Ez. 48,30-35)
Das bunte Fensterbild und seine Symbolik sind sichtbarer Beleg der gemeinsamen Verankerung von Christen und Juden in der Vorstellungswelt der Bibel.
Über dem Portal an der Saarstraße sitzt ein Davidsstern aus Jerusalemer Kalkstein, eine Stiftung aus Kyriat Motzkin, der israelischen Partnerstadt des Landkreises Bad Kreuznach. 2012 wurden darüber die beiden Gesetzestafeln aus Marmor wieder an ihrem ursprünglichen Ort angebracht.
Am 50. Jahrestag des Novemberpogroms, am 9.11.1988, wurde die ehemalige Synagoge als Haus der Begegnung feierlich der Öffentlichkeit vorgestellt. Seither dient sie als Stätte der Erinnerung an jüdisches Leben und als Stätte der Kultur und Begegnung, als Lernort und Brücke zum Miteinander über alle religiösen, politischen und kulturellen Grenzen hinweg.
Die engagierten Vorsitzenden des Träger- und Fördervereins Synagoge Meisenheim e. V.
Hans Schumm 1985 - 1995
Richard Held 1995 - 2005
Günther Lenhoff 2005 - 2017
Felix Fey ab 2018
haben es verstanden, durch Ideenreichtum und Hingabe dem Haus der Begegnung einen respektablen Platz in der Bildungslandschaft des Kreises Bad Kreuznach zu sichern.
Der Weg aus den Trümmern der Geschichte, aus Kulturbruch und Elend zu versöhntem Miteinander ist nur durch bleibende Erinnerung möglich. Diesem Anliegen weiß sich die Kultur- und Erinnerungsarbeit im Haus der Begegnung verpflichtet.
Informationen zu dem Fensterbild finden Sie hier zum Herunterladen: