Der Friedhof der ehemaligen

jüdischen Kultusgemeinde Meisenheim


von Günther Lenhoff


Eigentümerin: Israelitische Gemeinde  Bad Kreuznach

Der Friedhof liegt ca 2 Km entfernt von der Stadt Meisenheim, östlich der Landstraße nach Rehborn (4167 Quadratmeter).

Er war Bestattungsort für mehrere umliegende Ortschaften.

Die jüdischen Gemeinden in und um die Stadt Meisenheim bildeten eine Friedhofsgemeinschaft: Odernheim, Breitenheim, Löllbach, Medard, Odenbach, Waldgrehweiler u.a. Von Mitte des 17. Jahrhunderts bis Mitte des 19.  Jahrhunderts wurde hier z.B. auch die Odenbacher Juden beigesetzt. 1845 eröffnete Odenbach einen eigenen jüdischen Friedhof.

Verzeichnis der Bestatteten in: Anthes, Quellen zur Geschichte der Stadt und der Verbandsgemeinde Meisenheim, Heft XII, S. 91ff)




Friedhof heißt in hebräischer Sprache „Bet ha chajim“= Haus des Lebens

oder „Bet olam“= ewiges Haus.

Die Anlage ist für die Ewigkeit angelegt und kennt keine Liegefristen.

Weder Gräber noch Grabsteine dürfen je beseitigt werden.

Martin Buber hat gesagt: “Hier erfährt der Jude die Geschichte seiner Familie

und seines Volkes bis hin an den Sinai und zu den Patriarchen.“



Nach den Bestimmungen des Talmud durften Friedhöfe, wegen der verunreinigenden Wirkung der Gräber, nicht innerhalb jüdischer Siedlungen oder gar unmittelbar in Synagogennähe angelegt werden. Sie mussten einen Mindestabstand von 50 Ellen von der Bebauungsgrenze des Ortes einhalten.

(Mischna Baba Batra 2,9)

Deshalb liegen Judenfriedhöfe stets vor der Stadtmauer bzw. auf dem Lande im freien Feld, auf dem die Bestattung für mehrere Dörfer geschehen kann.

Diese Bestimmung des jüdischen Kultus kam den Behörden zustatten, die eine Bestattung jüdischer Einwohner in christlichen Ortsteilen nicht zuließen, weil sonst die Beschränkung der Juden auf ihr zugewiesenes Wohnviertel erschwert worden wäre.

Die Beisetzung der Toten erfolgte in der West-Ost-Ausrichtung nach Jerusalem, um den Anblick der aufgehenden Sonne zu ermöglichen. (Ausnahme: Worms)

Der Grabstein wird über dem Haupt des Leichnams errichtet und die Inschrift ist so angebracht, dass der Leser nicht über der Leiche stehen muss. Man tritt also von Westen an das Grab heran und findet dort auf der Westseite des Steins die Inschrift vor.

Der Meisenheimer Friedhof wurde spätestens Anfang des 18. Jahrhunderts angelegt. Viel älter scheint er nicht zu sein, da die älteren Pfalzgrafen zu Zweibrücken aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts keine Juden in ihrem Land duldeten. Erst kurz vor der französischen Revolution änderten sich dann die Verhältnisse.



Er besteht aus zwei Teilen.

Auf dem alten, bewaldeten Teil sind noch auf 105 Gräbern die Grabsteine erhalten, deren Inschriften hebräische Beschriftung aufweisen. Der älteste Grabstein trägt die Jahreszahl 1725. Die meisten Gräber stammen aus dem späten 19. Jahrhundert.

Auf dem neuen Teil befinden sich  125 Grabsteine.

Die Erweiterung des Friedhofs wurde 1859 nötig.

(Einzelheiten s. Zeitungsbericht von 1860 in „Der israelitische Volksschullehrer)

Dieser neuere südlich anschließende Teil liegt zwischen dem Wald und einem Flutgraben.

Die Mittel in Höhe von 330 Gulden zur Friedhofserweiterung erzielte die jüdische Gemeinde durch den Verkauf von Eichenholz, das auf dem alten Friedhofsteil gefällt wurde.

Der neue Teil wurde von Gestrüpp und Dornen befreit und mit einer Bruchsteinmauer eingefriedet.

Der linke Pfeiler des Portals aus Sandstein trägt in Deutsch die Inschrift:

“Und Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird dich zu sich nehmen“ (Jesaja 58,8b)

Der rechte Pfeiler zitiert Jesaja 58,8a in Hebräisch: „Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Heilung wird schnell wachsen.“

Das Portal gilt als Pforte zum „Garten der Seligkeit“ (Gan Eden), als guter Ort und Ruhestätte aller Frommen und Gerechten.

Die Mittel für die Anfertigung des geschmiedeten Eisenportals steuerte der Landgraf von Hessen-Homburg bei.

Grabsteine markieren den Bestattungsort, aber die bei Christen üblichen gärtnerisch gepflegten Grabbeete fehlen.

Grabinschriften sind nicht mehr ausschließlich in hebräischer; sondern auch in deutscher Schrift. Etwa bis 1850 blieben die traditionellen jüdischen Symbole vorherrschend. Danach drangen Zeichen und Formen, die bei den Christen üblich waren, auch in den Judenfriedhof ein und verdrängten mehr und mehr jüdisches Brauchtum und hebräische Schriftzeichen.



Jüdische Friedhöfe sind heute Denkmale, schützenswertes Kulturgut und Zeitzeugnis für  religiöses, jüdisches Leben unseres Landes.

Die kultisch übliche östliche Ausrichtung der Grabsteine lässt sich nicht mehr feststellen.

Die Gestaltung der Grabsteine zeigt weniger in stilistischer Sicht als in symbolischer Hinsicht Unterschiede zu christlichen Grabmalen.

Jüdische Grabsteine tragen das  historische Stammeszeichen der Familie sowie eine hebräische Inschrift.

Sie enthält häufig unter dem Buchstaben

„PN“= ponitman(fem.nitmenet) = hier liegt bestattet

bzw. poniqbar (fem. niqberet) = hier liegt begraben

oder "PT" = po tamun (fem. temuna) = hier liegt bestattet

den Namen des Toten, sein Alter, sein Sterbedatum,

und eine abgekürzte Segensformel,

z. B. “Er (sie) ruhe im Garten Eden“ (Gen. 2,8)

oder

„Seine (ihre) Seele sei eingebunden ins Bündel des Lebens“ (1. Samuel 25,29)

Gelegentlich werden Verdienste und Tugenden wortreich gepriesen.

Im frühen 19. Jahrhundert tritt zur hebräischen Schrift auch die deutsche Sprache hinzu.

Dazu kann auch figürlicher Schmuck hinzukommen:

Sonne und Mond erinnern an die Schöpfungsordnung (Gen. 1,16-18) und Endzeithoffnung (Jes. 60,19ff)

Die segnenden Hände des Priesters und die Wasserkanne des Leviten weisen auf die Nachkommen der Priester (Kohen) oder Leviten (Lewi) und sind Symbole der Familien Cohn, Kahn usw. oder Levy.

Auch Häusernamen als Vorformen von Familiennamen (die erst 1808 durch Napoleon verbindlich wurden) sind vorfindbar:

Rad, Blasebalg, Laute, Hufeisen, Pfau, Stern usw.

Die Steinmetzkunst des 18. Jahrhunderts kennt auch heraldisch gestaltete „redende“ Wappen (Hirsch, Wolf usw).

Die Abgrenzung der einzelnen Gräber ist nicht üblich.

Grabpflege und –schmuck sind als Götzendienst untersagt (Jesaja 65,4)

Gerade im Überwuchern des Grabes erkennen Juden symbolhaft das neue Leben, das aus dem Tode sprießt.



Üblich ist als Ausdruck der Verehrung beim Besuch des Grabes ein kleines Steinchen (Gen. 35,20 u. Prediger 3,5) auf dem Grabstein abzulegen, unter das ein kleiner Zettel ( jiddisch: quittel, Pl. quittlach) geschoben wird, der Fürbitten des Besuchers enthält.

Am Jahrestag des Todes besuchen die Verwandten das Grab; entzünden ein Licht  und sprechen das Kaddisch.

Es ist ein 2000 Jahre alter Lobpreis Gottes, den die deutschen Juden im Mittelalter als Totengebet einführten.

Das Kaddisch hat folgenden Wortlaut:

„Erhoben und geheiligt werde Sein großer Name in der Welt, die er nach seinem Willen erschaffen. Er lasse Sein Reich kommen in eurem Leben und in euren Tagen und in dem Leben des ganzen Hauses Israel, bald und in naher Zeit. Darauf sprecht Amen.

Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.

Gepriesen und gelobt, verherrlicht und erhoben, erhöht und gefeiert, hoch erhoben und bejubelt werde der Name des Heiligen, gelobt sei Er, obwohl er erhoben ist über allen Preis und Gesang, Lob und Lied, Huldigung und Trost, die in der Welt gesprochen werden. Darauf sprecht Amen.

Des Friedens Fülle und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden. Darauf sprecht Amen.

Der Frieden stiftet in seinen Höhen, gebe auch uns Frieden und ganz Israel. Darauf sprecht Amen.

Das Totengebet ist auch Bestandteil der Bestattungstradition:

Sie sieht folgenden Verlauf vor:

1. Der Sterbende erteilt seinen Kindern den Aaronitischen Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich.

Er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig

Der Herr erhebe sein  Angesicht über dich und schenke dir Frieden.

2. Die ihn umgebende Heilige Brüderschaft antwortet Worte des Bekennens:

„Er regiert, Er hat regiert, Er wird regieren für Zeit und Ewigkeit.

Gelobt sei der glorreiche Name seiner Herrlichkeit für Zeit und Ewigkeit. (3 X)

Er ist Gott, Er ist Gott, Er ist Gott. (4X)

Höre Israel, Er ist unser Gott, Er ist Einer.“

3. Beerdigungsgebet aus der talmudischen Tradition

4. Der Trauerzug (ohne Frauen und ohne Angehörige der Priesterstämme, z.B. Cohen/Cahn, Levy) zum Grab wird mehrfach unterbrochen, um die Mühseligkeit des letzten Weges auf dieser Erde anzuzeigen.

Dabei betet man Psalm 91:

„Wer im Schutz des Höchsten wohnt, im Schatten des Allmächtigen nächtigt, der spreche zum Herrn: Meine Zuflucht und Burg, mein Gott, dem ich vertraue.

Denn er ist’s, der dich rettet... mit seinen Schwingen schirmt er dich,

unter seinen Flügeln findest du Zuflucht.

nicht mußt du dich fürchten vor den Schrecken der Nacht...

denn deine Zuflucht ist der Herr,

du hast den Höchsten zu deiner Wohnstatt gemacht.

Kein Unheil wird dir begegnen...

Denn er entbietet für dich seine Engelsboten, dich auf all deinen Wegen zu hüten...

(So spricht der Herr):

Weil er an mir hängt, rette ich ihn, will ich ihn schützen,

denn er kennt meinen Namen...

ich bin bei ihm in der Not, ich binde ihn frei und bring ihn zu Ehren!

Ich sättige ihn mit langem Leben und lasse ihn schauen mein Heil!

5. Ist der schmucklose Sarg hinabgelassen (in Israel werden Tote nur in zwei Leinentücher eingeschlagen und beigesetzt) werfen die Leidtragenden drei Schaufeln Erde hinab und sprechen:

„Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück. Es geht der Staub zur Erde ein, von der er kommt. Der Geist aber kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben.“

6. Die Angehörigen sprechen das Kaddischgebet

7. Wenn die Angehörigen den Friedhof verlassen, ruft die Gemeinde ihnen als Trostwort zu:

„Der Allgegenwärtige tröste euch inmitten derer, die um Zion und Jerusalem trauern.“

8. Vor dem Verlassen des Friedhofs wäscht man die Hände und betet:

„Verschlingen läßt er den Tod in die Dauer.

Abwischen wird mein Herr, ER,

von alljedem Antlitz die Träne,

und die Schmach seines Volkes abtun von allem Erdland.

Ja, geredet hats ER.“



Beispiel für eine hebräische Grabinschrift auf dem alten Teil des Friedhofs:

„Hier

liegt und freut sich ein bewährter Mann

ein treues Oberhaupt und Schuld seiner Verwandtschaft

in seinem Blut und Fleisch.

Sein Haus stand weit offen

und sein Tisch frei für jeden Bedürftigen

von seinem Brot gab er den Hungrigen,

aus seinem Becher tränkte er die Durstigen,

sein Haus war eine Bleibe jedem Fremden,

Gutes gab er, um übernachten zu können.

Einen süßen Schlaf möge dein Leichnam schlafen,

in Freude werde behütet deine Seele für das, was

du getan hast an Recht und Wohltätigkeit in deinem Leben!

Herr Mosche

Sohn des Jehuda ha Levi, starb, sank nieder und ging

in seine Ewigkeit am Freitag, dem Vortag des Heiligen

Schabbat, dem 13. Tamus des Jahres 506

der kleinen Zählung 1746.

Er stehe auf zu seinem Los

am Ende der Tage,

und seine Seele sei eingebunden im Bündel des Lebens!“

(Die Formulierung „Bündel des Lebens“ stammt aus 1. Samuel 25,29:

Und wenn ein Mensch sich erheben wird, dich zu verfolgen, und nach deiner Seele steht, so wird die Seele meines Herrn eingebunden sein im Bündlein der Lebendigen bei dem Herrn, deinem Gott…)

Lagepläne, Grabinschriften der Ruhestätten dokumentiert eingehend die Publikation:

„Jüdische Grabstätten im Landkreis Bad Kreuznach“, 1995 herausgegeben vom Landkreis und dem Pädagogischen Zentrum Rheinland-Pfalz, S. 305-332